Donnerstag, 30. April 2015

Straßenalltag in Indien: Nur keine Liebe zeigen!

Wie kein anderes Land vereint Indiens Gesellschaft Gegensätze

Bangalore. Man mag es beim Anblick des täglichen Wahnsinns und Chaos auf Indiens Straßen kaum glauben: Beim Thema Bürokratie nehmen es indische Ordnungshüter noch viel penibler als ihre deutschen Pendants. Will man sich in Indien eine Simkarte kaufen, muss man erst Berge an Dokumenten ausfüllen, ehe man ganz akkurat auf dem benötigten Passbild von sich unterschreiben muss. Ähnlich gestaltet sich der Fahrkartenkauf. Endlich am Schalter nach einer Stunde zähem Anstehen, bekommt man erstmal ein Dokument überreicht, in dem man Passnummer, Adresse und sogar das übernächste Reiseziel angeben muss. Das dauert, das nervt, das kostet Reisezeit. Wenn Du was in Indien brauchst, dann ist es: Geduld.

Ordnungsfanatiker versus Müllanhäufer

Nun ja. Indien ist eben das Land der ganz großen Gegensätze und Widersprüche. In allen Bereichen des Alltags. Viele Inder lieben Sauberkeit, Organisation und Ordnung. Sie duschen oft mehrmals am Tag, packen in den Zügen ihr akkurat verpacktes Abendessen aus. 

Gleichzeitig verkommen Indiens Straßen in vielen Teilen des Landes zu großen Müllbergen. Ich bezweifle stark, ob es in Hindi überhaupt ein Wort für Umweltbewusstsein gibt. Coladosen, Essensreste? Aus dem Zugfenster damit! Plastiktüten? Kann man nie genug von haben!

Tabuthema Sex, Händchenhalten als Revolution  

Bei den Themen Sex und Liebe sind Inder aus moderner westeuropäischer Perspektive schrecklich verklemmt. Über Geschlechtsverkehr zu reden, gilt als verpönt. Sex wird offiziell (!) als ein Mittel zum Zweck (Familiengründung) angesehen. Nicht mehr und nicht weniger. 

Was mir sofort aufgefallen ist: Paare tauschen auf Indiens Straßen keinerlei Liebesbekenntnisse aus. Kein Küsschen. Kein Kuscheln. Nicht einmal ein bisschen Händchenhalten. Lediglich auf Mumbais Marine Drive habe ich einige wagemutige, junge Paare gesehen, die beim Sonnenuntergang ein bisschen Liebe gelebt haben. Ein schüchterner Kuss auf die Wange ist auf Indiens Straßen schon revolutionär.

Halbnackte Sportreporterinnen, Vergewaltigungen

Auf der anderen Seite wird mit sexuellen Reizen und Stereotypen in den Medien zum Teil geradezu gespielt. Bei einem Cricketmatch zur Primetime, das sogar Mumbais Straßen für zwei Stunden komplett leerfegte, stand zuletzt eine Blondine im Scheinwerferlicht, die in ihrem Outfit auf den Showbühnen der Reeperbahn nicht auffallen würde. 

Viele westliche Frauen, die ich in meinen ersten 14 Tagen in Hostels getroffen habe, berichteten von unangenehmen Situationen im Alltag mit indischen Männern. Dreiste Griffe an den Hintern beim dafür arrangierten Fotoposieren mit den Frauen. Und vor allem: Blicke, krasses Anstarren und Gaffen auf der Straße. Natürlich ticken verhältnismäßig nur wenige Inder so. Aber dieses Verhalten ist offenbar doch in gewissen Teilen der Gesellschaft verbreitet. Und es führt dazu, dass fast alle Frauen aus Europa Nachtfahrten in Zügen ohne Begleitung eines Mannes meiden. 

Die fürchterlichen Berichte über Massenvergewaltigungen von Touristinnen tun ihr Übriges. Sie prägen das Image Indiens mittlerweile leider schon rund um den Globus. Das ist schade. Denn Indien ist ein wunderbares Land mit vielen unfassbar gastfreundlichen Menschen. Darunter nicht wenige Männer.

Ein seltener Anblick in Indien: Ein junges Paar lebt am Marine Drive in Mumbai in der Oeffentlichkeit seine Liebe aus.

Mittwoch, 29. April 2015

One night in Pune

Eines Nachts in Pune. Ich verlasse mein Hostel gegen 10 Uhr, um noch etwas essen zu gehen. Auf der Straße ist es bereits stockdunkel. Eigentlich sollte die Stadt um diese Uhrzeit endlich etwas zur Ruhe gekommen sein. Eigentlich. Denn als ich ploetzlich auf der großen Hauptstraße stehe, realisiere ich relativ schnell: In dieser Nacht ist nichts, wie es sonst ist. 

Zehntausende Menschen auf der Straße. Jung, alt, vor allem aber maennlich. Sie huepfen wild auf und ab, bringen den Asphalt zum Beben. Aus dicken Boxen droehnt Hardcore-Elektromusik. Pune feiert. Pune explodiert. Und ich bin ploetzlich mittendrin. Inmitten tausender feierwuetiger Inder. Als ich meine Kamera raushole, bin ich ploetzlich umzingelt.

 Hunderte Inder wollen von mir beim Tanzen gefilmt werden. Sie ziehen und zerren an mir, zeigen ihre besten Dancemoves. Vor meiner Linse spielen sich verrueckte Szenen ab. Saemtliche Hemmungen fallen, ein Geruch von Party-Schweiß liegt in der Luft. Ich bin wie benebelt. Die Situation ist einfach nur surreal. Alles irgendwie wie in einem Traum. Nur eben mit meiner Kamera festgehalten...


May 15th 2015. One night in Pune, India. Wild masses are celebrating the 124th anniversary of Babasaheb Ambedkar.


Sonntag, 26. April 2015

Dharavi: Indiens Labyrinth der Armut

Der Kino-Hit „Slumdog Millionaire“ machte Dharavi zum wohl bekanntesten Slum Indiens. Ich habe mir vor Ort in Mumbai ein Bild gemacht. Wie leben die Menschen? Wie sieht der Alltag im Slum aus? Und: Was loesen die Einblicke in eine Parallelwelt in mir aus?


Dharavi, im Herzen Mumbais. Heimat fuer eine Millionen Inder. Billige Blechhütten stapeln sich hier wundersam uebereinander wie bei einer russischen Matrojschka. Rahul, 22, der mich und vier andere Backpacker an diesem Morgen durch die Gassen führen wird, wohnt selbst seit seiner Kindheit im Slum. Er arbeitet dank seiner guten Englischkenntnisse für eine der anerkannten Organisationen, die Einblicke in den Slum gewaehren.

Rahul ist Student. Er arbeitet nebenbei hart, lernt fleißig Englisch. Er sagt: "Mein Traum ist es, Indien zu verlassen." - "Warum willst Du weg aus Indien?" - "Weil ich hier kein Geld machen kann. Hier habe ich keine Zukunft." - "Und wohin willst Du dann?" - "Ich will in Australien arbeiten. Deutschland wäre auch okay." 

Monatsgehalt in Dharavi: 70 bis 200 Euro.

Vor dem Eintritt in die Slums gibt es klare Anweisungen. Keine Fotos. Kameras verboten. Wir passieren die ersten mit Massen überfüllten Slum-Vorplätze. Hupende Autos und Motorraeder. Dazwischen Hunde, Esel und Hühner. Am Rand etliche Kleinhändler. Es scheint, als würde das Leben in Dharavi noch schneller rennen als in Mumbai-City.

Wir biegen ab in kleine Seitengassen. Der Slum entpuppt sich als ein wahres Labyrinth der Armut. Etliche Kinder turnen über die Straße, manche spielen Cricket mit abenteuerlichem Equipment. Frauen sitzen im Matsch der engen Gassen und waschen Kleider oder töpfern kleine Gegenstände. An jeder zweiten Ecke lässt uns Rahul in ein Haus blicken, in dem Handwerk gelebt wird. Ein kleiner Betrieb recycelt alle Plastikflaschen Mumbais und verarbeitet die Materialien weiter. Daraus entstehen am Ende oft Klamotten. 

Alles, wirklich alles, wird recycelt. Kartons und alte Autoteile; aus jedem erdenklichen Material wird irgendwie Geld gemacht. Geld, das die Bewohner dringend brauchen. Die Armut in Dharavi hat durchaus Zahlen. Die Miete für eine Hütte kostet rund 4000 Rupien pro Monat, 60 Euro. Ein normaler Arbeiter erhält jedoch meist nur zwischen 5000 - 15 000 Rupien (70-200 Euro)  Monatsgehalt. Viel bleibt für Lebensmittel und andere Dinge also nie übrig. Größere Einkäufe, Arztrechnungen sind kaum zu stemmen. Nur Wenige - wie der Besitzer einer florierenden Schneiderei - können sich auch mal etwas mehr leisten.

"Keiner der Arbeiter wird älter als 60"

Was einen mitnimmt, ist der Anblick der Männer, die unter unmenschlicher Hitze Aluminium gießen. Oder auch jene Arbeiter, die für die Textilbranche täglich mit hochgiftigen Chemikalien ihre Gesundheit zerstören: "Keiner dieser Arbeiter lebt länger als 60 Jahre", erklärt Rahul. 

Wir gehen weiter durch die engen Gassen. Vorbei an handgefertigten Ledergürteln und abgemagerten Katzen. Ein paar Sequenzen kann ich festhalten. Dann sagt Rahul plötzlich: "Hier jetzt bitte unbedingt alle Kameras in die Tasche! Keine Bilder!" Wir biegen um die Ecke und wissen sofort warum. Ein riesiger Platz voller Abfälle erscheint vor unseren Augen. Der Mülleimer eines ganzen Slums. Auf den Gipfeln der Müllberge spielen Kinder in zerfetzten Stoffen oder nackt, als befänden sie sich auf dem Spielplatz.Wir werden schnell weitergetrieben, wir sollen diesen Teil des Slums wohl nicht allzu lange sehen. Nur eine Ecke weiter werden wir in einen perfekt klimatisierten Laden geführt. Jetzt wird es touristisch, wir können Lederprodukte zum "special price" kaufen. Wollen wir aber nicht. Und ziehen schnell weiter.

Eine Toilette für 15 000 Menschen

Auf einem größeren Vorplatz zeigt uns Rahul die einzige private Toilette des Slums. Ein Wellhüttchen für die Notdurft der täglich rund 400 Besucher. Im Slum ist das ein wahrer Luxus. Auf 15 000 Menschen kommt hier durchschnittlich eine einzige Toilette. Zum Schluss der Slum-Tour stellt uns Rahul noch sein Zuhause und seine Familie vor. Seine kleine Schwester, nur einige Monate alt, lächelt uns schüchtern entgegen. Beim Anblick der fremden Kameralinse, versteckt sie sich hinter dem Rücken ihrer Mutter. Wir sagen den Eltern Rahuls Namaste und Goodbye. Sie verschwinden wieder hinter der Türe ihrer Wellblechhütte - und wir verlassen Mumbais ärmstes Viertel durch unzählige enge Gassen wieder.

Rahul setzt uns in den Zug Richtung Downtown und kehrt zurück zu seiner Familie. Ich stehe erschöpft und überhitzt an der offenen Türe des Zuges, als dieser Richtung Hoteldusche losrollt. Für die Bewohner des Slums ist die Wasserzufuhr stark begrenzt. Drei Stunden bleiben jeden Morgen, um die Fässer mit Wasser für den ganzen Tag zu füllen. Noch fließt das flüssige Gold, doch die Lage ist in manchen Regionen Indiens seit Jahren angespannt. Was passiert mit diesem Land, wenn das Wasser plötzlich nicht mehr fließt?

Die Gedanken sind frei

Ich spüre am Ende dieser fünf Stunden vor allem zwei Dinge - Müdigkeit und Leere. Die Armut tausender Menschen mit eigenen Augen zu sehen, macht nachdenklich. Sind diese Menschen glücklich? Kann man überhaupt dauerhaft glücklich sein, wenn man quasi keine gesellschaftlichen Aufstiegschancen hat? Was wird aus Rahul, diesem sympathischen jungen Mann, der davon träumt einmal als Event-Manager zu arbeiten? Wird sein Traum wahr oder muss auch er einmal in einer Fabrik des Slums Aluminium gießen bis zu seinem Tod? 




Hello, Miss Kulturschock!

Alltagsdarwinismus in Indien: Ellenbogen raus, Jeder gegen Jeden

Hier sitz ich nun also. Vor den Wellen Goas. Indiens traumhafter Strandoase. Durchschnaufen nach einer Woche wildem Stadtleben. 4 Tage Mumbai und drei Tage Pune zu Beginn meiner Reise haben Spuren hinterlassen.

Die Massen, das Tempo: Wahnsinn!

Gerade die 22 Millionen-Metropole Mumbai hat mich die ersten Tage komplett umgehauen. Das Tempo, die Massen, der Umgang im Alltag: Wahnsinn! Unfassbar, was für Szenen sich Tag für Tag auf Indiens Straßen abspielen. Eselwagen, Traktoren, Motorräder, Luxuskarossen und Kühe tummeln sich dicht an dicht aneinander. Aus drei Spuren werden sechs. 

Wildes, aggressives Hupen gibt den Takt des Asphalts vor. Nur nicht zögern, nur keinen Zentimeter hergeben. Beschleunigen, bis auf die Stoßstange auffahren, Vollbremsung. Und dann wieder Stau. Immer und immer wieder. Indiens Straßen lechzen nach Luft zum Atmen, doch überall ist nur das Kerosin der durstigen Mehrräder.  

Indischer Alltagsdarwinismus

Oberste Regel in Indiens Alltagsleben: Der Stärkere, der Dreistere setzt sich durch. 1,2 Milliarden Inder verwandeln das Land Tag für Tag in fast jeder kleinen Ecke in einen Hexenkessel. Für Touristen, für Fremde, gerade für Westeuropäer ist das am Anfang ein absoluter Kulturschock. Auf den überfüllten Gehwegen wird man beiseite gerempelt, beim Ticketkauf am Bahnhof drängeln sich jede Minute aufs Neue ein paar ganz Dreiste an der endlosen Schlange vorbei. Es geht auf der Straße um den eigenen Vorteil, es geht darum den eigenen Magen zu füllen. Ellenbogen raus, Kante zeigen. Mit allen Mitteln und Tricks. Das ist indischer Alltagsdarwinismus.







Freitag, 10. April 2015

Indien & Nepal: Let's go!

Let's go! Indien & Nepal. Zwei Monate. Ein Backpack. Kein Plan. Vorfreude? Extrem. Gemütszustand? Irgendwo zwischen Buddha und Wurzelbehandlung. Werde meine Erlebnisse in irgendeiner Form mit Euch teilen. Ihr hört von mir. Byebye, namaste, bis Juni!