Sonntag, 2. November 2014

Wir dürfen unsere Brüderlichkeit nicht für den Glauben aufgeben // Ein Essay


Inshallah sagen die Araber so gerne. So Gott will. Inshallah, dass wir in Frieden leben. Inshallah, dass wir unsere nächste Miete bezahlen können. Es gibt wenige Alltagsfloskeln, die im Arabischen nicht auf Allahu Akbar, Gott den Großen, verweisen. Gott ist in der täglichen Kommunikation allgegenwärtig. Glaube und Religion gehören in muslimischen Ländern wie Jordanien zur eigenen Identität. Du bist nicht nur, was Du hast. Du bist vor allem auch, was Du glaubst. 

Religion ist ein Machtmittel. Das ist mir ganz besonders auf meiner Reise durch den Nahen Osten klar geworden. Der vermeintlich richtige Glaube kann kleine Türen öffnen, aber auch große schließen. Das gilt für die Karriereleiter als auch für die Liebe. Einer muslimischen Frau wäre es beispielsweise von ihrer Familie gewöhnlich nicht gestattet, einen christlichen Mann zu heiraten. Moslems bleiben lieben unter sich. Andersgläubige werden meist toleriert, manchmal auch als Freunde akzeptiert, aber nur von Wenigen wirklich respektiert. 

Genau dieses religiöse Einbahnstraßendenken befremdet mich. Wenn ich mit Moslems über Religion redete, kamen wir irgendwann fast immer zum selben Punkt: Man versuchte mich vom Islam zu überzeugen. Es passierte nicht immer offensichtlich, aber doch passierte es durch alle Lobpreisungen und Versprechungen. In manchen Fällen versuchte man mich an Ort und Stelle zum Islam zu konvertieren. Ganz so, als wäre ich eine Audiodatei.
 Ich habe mich natürlich gefragt, warum mich so viele Moslems auf ihre Seite ziehen wollen. Und ich habe Antworten erhalten. Abdul, ein junger Ingenieur-Student aus Amman, erklärte mir: „Wenn ich einen Ungläubigen zum Islam bringe, steige ich im Ansehen von Allah. Dadurch komme ich dem Paradies näher.“ Religion als Payback-Punkteystem? Das ist für mich nur schwer zu verstehen. 

Jeder soll glauben, was er will. Jude, Buddhist, Moslem, Christ oder Atheist. Mir ist es doch egal, mit wem ich mir mein Brot teile. Wir alle sind aus Fleisch und Blut, aus Herz und Verstand. Wir dürfen unsere Brüderlichkeit nicht für den Glauben aufgeben.
Keine Frage: Glaube kann wunderbar sein. Er kann uns Mut machen, uns trösten, uns Halt geben. Aber er kann auch so Vieles zerstören. Gespräche, Freundschaften, Familien, ganze Gesellschaften. Man kann an Gott glauben. Aber wir dürfen niemals vergessen, auch an den Menschen zu glauben. Salam Aleikom. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen