Kassensturz: Gehälter und
Lebenskosten in Indien
Backpackerpradies Indien: In kaum
einem anderen Land dieser Welt kann man so günstig reisen. Abendessen 2,20
Euro. Hotelzimmer 4,50 Euro. Traumwandlerische Preise, die einen immer wieder ungläubig
mit der Frage konfrontieren: Wie ist das alles nur so billig möglich – und wer
sind die Verlierer dieses Systems?
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Straßenverkaeuferin in Mumbai: Monatsgehalt unter 150 Euro. |
Munnar. Ich habe in den letzten Wochen
etliche Gespräche mit Indern geführt, habe mich über deren Gehälter,
Lebenskosten und Träume unterhalten. Dabei habe ich nicht nur einen allgemeinen
Einblick in die Arbeitskultur des Landes bekommen, sondern auch eine Reihe von
konkreten Zahlen. Das Ganze ist nicht repräsentativ für ganz Indien, aber es ermöglicht
eine Einschätzung der Lebensverhältnisse. Ein Überblick:
Arbeitsalltag: In Indien sind 6 Tage-Arbeitswochen weit verbreitet. Auch Kellner oder Taxifahrer arbeiten in der Regel montags bis
samstags zwischen acht bis zehn Stunden pro Tag – zu oftmals ungeregelten
Arbeitszeiten. Gerade Journalisten, die für große internationale Medienagenturen
wie Reuters arbeiten, haben oft Nachtschichten. Im krassen Gegensatz zu den USA
sind Trinkgelder für Dienstleistungen in Indien extrem rar. Selbst in
Restaurants kommt es nicht selten vor, dass der Kellner von Gästen kein
Trinkgeld erhält.
Gehälter: Wer für indische Verhältnisse
wirklich viel Geld verdienen will, muss vor allem zwei Voraussetzungen erfüllen.
Zum einen muss man überdurchschnittlich gebildet sein, am besten auf einer
teuren, privaten Hochschule seinen Abschluss erhalten haben – und vor allem fließend
Englisch sprechen. Sehr gutes Englisch ist der Schlüssel zu allen gut bezahlten
Jobs im Finanz-, IT- und Ingenieurbereich.
Zum anderen muss man als indischer Arbeitnehmer
bereit sein, extrem viel Zeit für seinen Job zu opfern. Ich habe Geschichten
von indischen Angestellten aus der Versicherungs- und Finanzbranche (z.B.
Allianz, Deutsche Bank) gehört, die bis zu 12 Stunden täglich an sechs Tagen
die Woche arbeiten. Und die selbst sonntags, am einzig freien Tag, noch Mails und
Anrufe entgegennehmen müssen. Ihre Ehefrauen sehen sie aufgrund des Stresses manchmal nur zwei Mal im
Monat. Dafür ist der Lohn dieser Inder jedoch auch um ein Vielfaches höher als
der Durchschnitt, beträgt beim Einstieg rund 35 000 Rupien pro Monat (knapp 500
Euro). Nach oben ist hier jedoch relativ schnell sehr viel mehr möglich.
Im Gegensatz dazu arbeiten vorsichtig geschätzt mindestens 80 % der indischen Bevoelkerung, fast 1 Milliarde Menschen, für einen Monatslohn von 15 000 Rupien (225 Euro) oder weniger.
Im Gegensatz dazu arbeiten vorsichtig geschätzt mindestens 80 % der indischen Bevoelkerung, fast 1 Milliarde Menschen, für einen Monatslohn von 15 000 Rupien (225 Euro) oder weniger.
Ein Ueberblick
exemplarischer Gehaelter in Indien (Quelle: Eigene Angaben der Befragten):
Rikscha-Fahrer: 7000 – 12 000 Rupien
pro Monat (100 -180 Euro)
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Arbeiter auf Teeplantage in Munnar:
6000 Rupien (95 Euro)|Monat + kostenlose Unterkunft
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Buero-Angestellter bei Allianz (60-70
Stunden|Woche): 50 000 Rupien|Monat (800 Euro)
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Schaffner im Zug: 18 000 Rupien|Monat (270
Euro)
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Bedienung im Restaurant in Bangalore:
10 000 Rupien (160 Euro)
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Programmierer (21 Jahre, frisch von der
Uni) aus Pune: 15 000 Rupien (230 Euro)|Monat
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Arbeiter in Dharavi (Slum von Mumbai):
7000 Rupien (110 Euro)|Monat
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Firmenbesitzer in Bangalore
(Industrie): 450 000 Rupien|Monat (7000 Euro)
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Erstaunlich:
Kaum ein Inder hatte ein Problem damit, mir im Laufe des Gespräches sein Gehalt
zu nennen. Über Geld spricht man vielleicht in Deutschland nicht. In Indien
schon. Geld ist der alles dominierende Faktor auf der Straße. Das ist gerade für
Touristen aus der Wohlstandsoase Deutschland anfangs befremdlich.
Jede noch so kleine Dienstleistung oder Freundlichkeit geht in der Regel mit der Bitte nach „10 Rupees, please“ einher. Und aus allem, aus wirklich allem, wird irgendwie Geld macht. In Dharavi, Mumbais Millionen-Slum, recyclen sie täglich Tonnen an Müllbergen, die Indiens Straßenbild im ganzen Land prägen. Wenn mir etwas klar wurde in Indien, dann ist es die Tatsache, dass Not wirklich erfinderisch macht. Unglaublich auf was für Ideen Menschen kommen, wenn sie täglich um ihr Brot kämpfen müssen.
Abenteuerliche Geschaeftsidee: Mini-Carrerabahn in Mysore |
Gefühlt hat
jeder zweiter Inder sein eigenes Business auf der Straße. Eine alte Frau in
Mumbai verkaufte Tag für Tag auf einem kleinen Strandtuch Tomaten und Taschentücher.
Nichts weiter. Nur Tomaten und Taschentücher. Tag für Tag. Und ein junger Mann
in Mysore hatte eine etwas brüchige Carrera-Bahn vor einem Palast aufgebaut, um
für Unterhaltung zu sorgen. Als meine Augen ungläubig dem kleinen Ferrari
folgten und ich kurz stehen blieb, hörte ich nur noch die Worte: „Sir, ten
Rupees, please.“ Welcome to India.
Fazit: Die Massenbevölkerung und das daraus
resultierende Überangebot auf dem indischen Arbeitsmarkt macht Arbeitskraft in
vielen Branchen zu jeder Zeit austauschbar. Das führt nicht selten zu Dumpingloehnen,
die in keinem Verhältnis zu dem hohen Aufwand stehen, den Inder an meist sechs
Tagen pro Woche im Job leisten.
Die chronische Schwäche der indischen Währung führt
dazu, dass sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Reisen ins Ausland oder
teurere Elektronikgeräte leisten kann. Auch Bildung, das ist das eigentliche
Dilemma, ist in Indien eine Frage des Kapitals. Denn nur reiche Inder können die
Gebühren der privaten Hochschulen stemmen, die bei Firmen aus dem In- und
Ausland extrem gefragt sind. Das führt dazu, dass wirkliche gesellschaftliche
Aufstiegschancen im Land für den großen Teil der Bevölkerung kaum existent
sind.
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Koenigliches Dinner in Pune fuer 220 Rupien: 3,20 Euro. |
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