Freitag, 8. Mai 2015

It’s all about money, sir!

Kassensturz: Gehälter und Lebenskosten in Indien

Backpackerpradies Indien: In kaum einem anderen Land dieser Welt kann man so günstig reisen. Abendessen 2,20 Euro. Hotelzimmer 4,50 Euro. Traumwandlerische Preise, die einen immer wieder ungläubig mit der Frage konfrontieren: Wie ist das alles nur so billig möglich – und wer sind die Verlierer dieses Systems? 

Straßenverkaeuferin in Mumbai: Monatsgehalt unter 150 Euro.
Munnar. Ich habe in den letzten Wochen etliche Gespräche mit Indern geführt, habe mich über deren Gehälter, Lebenskosten und Träume unterhalten. Dabei habe ich nicht nur einen allgemeinen Einblick in die Arbeitskultur des Landes bekommen, sondern auch eine Reihe von konkreten Zahlen. Das Ganze ist nicht repräsentativ für ganz Indien, aber es ermöglicht eine Einschätzung der Lebensverhältnisse. Ein Überblick:

Arbeitsalltag: In Indien sind 6 Tage-Arbeitswochen weit verbreitet. Auch Kellner oder Taxifahrer arbeiten in der Regel montags bis samstags zwischen acht bis zehn Stunden pro Tag – zu oftmals ungeregelten Arbeitszeiten. Gerade Journalisten, die für große internationale Medienagenturen wie Reuters arbeiten, haben oft Nachtschichten. Im krassen Gegensatz zu den USA sind Trinkgelder für Dienstleistungen in Indien extrem rar. Selbst in Restaurants kommt es nicht selten vor, dass der Kellner von Gästen kein Trinkgeld erhält. 

Gehälter: Wer für indische Verhältnisse wirklich viel Geld verdienen will, muss vor allem zwei Voraussetzungen erfüllen. Zum einen muss man überdurchschnittlich gebildet sein, am besten auf einer teuren, privaten Hochschule seinen Abschluss erhalten haben – und vor allem fließend Englisch sprechen. Sehr gutes Englisch ist der Schlüssel zu allen gut bezahlten Jobs im Finanz-, IT- und Ingenieurbereich.

Zum anderen muss man als indischer Arbeitnehmer bereit sein, extrem viel Zeit für seinen Job zu opfern. Ich habe Geschichten von indischen Angestellten aus der Versicherungs- und Finanzbranche (z.B. Allianz, Deutsche Bank) gehört, die bis zu 12 Stunden täglich an sechs Tagen die Woche arbeiten. Und die selbst sonntags, am einzig freien Tag, noch Mails und Anrufe entgegennehmen müssen. Ihre Ehefrauen sehen sie aufgrund des Stresses manchmal nur zwei Mal im Monat. Dafür ist der Lohn dieser Inder jedoch auch um ein Vielfaches höher als der Durchschnitt, beträgt beim Einstieg rund 35 000 Rupien pro Monat (knapp 500 Euro). Nach oben ist hier jedoch relativ schnell sehr viel mehr möglich. 

Im Gegensatz dazu arbeiten vorsichtig geschätzt mindestens 80 % der indischen Bevoelkerung, fast 1 Milliarde Menschen, für einen Monatslohn von 15 000 Rupien (225 Euro) oder weniger.

Ein Ueberblick exemplarischer Gehaelter in Indien (Quelle: Eigene Angaben der Befragten):

Rikscha-Fahrer: 7000 – 12 000 Rupien pro Monat (100 -180 Euro)
Arbeiter auf Teeplantage in Munnar: 6000 Rupien (95 Euro)|Monat + kostenlose Unterkunft
Buero-Angestellter bei Allianz (60-70 Stunden|Woche): 50 000 Rupien|Monat (800 Euro)
Schaffner im Zug: 18 000 Rupien|Monat (270 Euro)
Bedienung im Restaurant in Bangalore: 10 000 Rupien (160 Euro)
Programmierer (21 Jahre, frisch von der Uni) aus Pune: 15 000 Rupien (230 Euro)|Monat
Arbeiter in Dharavi (Slum von Mumbai): 7000 Rupien (110 Euro)|Monat
Firmenbesitzer in Bangalore (Industrie): 450 000 Rupien|Monat (7000 Euro)

Erstaunlich: Kaum ein Inder hatte ein Problem damit, mir im Laufe des Gespräches sein Gehalt zu nennen. Über Geld spricht man vielleicht in Deutschland nicht. In Indien schon. Geld ist der alles dominierende Faktor auf der Straße. Das ist gerade für Touristen aus der Wohlstandsoase Deutschland anfangs befremdlich. 

Jede noch so kleine Dienstleistung oder Freundlichkeit geht in der Regel mit der Bitte nach „10 Rupees, please“ einher. Und aus allem, aus wirklich allem, wird irgendwie Geld macht. In Dharavi, Mumbais Millionen-Slum, recyclen sie täglich Tonnen an Müllbergen, die Indiens Straßenbild im ganzen Land prägen. Wenn mir etwas klar wurde in Indien, dann ist es die Tatsache, dass Not wirklich erfinderisch macht. Unglaublich auf was für Ideen Menschen kommen, wenn sie täglich um ihr Brot kämpfen müssen.
Abenteuerliche Geschaeftsidee: Mini-Carrerabahn in Mysore
Gefühlt hat jeder zweiter Inder sein eigenes Business auf der Straße. Eine alte Frau in Mumbai verkaufte Tag für Tag auf einem kleinen Strandtuch Tomaten und Taschentücher. Nichts weiter. Nur Tomaten und Taschentücher. Tag für Tag. Und ein junger Mann in Mysore hatte eine etwas brüchige Carrera-Bahn vor einem Palast aufgebaut, um für Unterhaltung zu sorgen. Als meine Augen ungläubig dem kleinen Ferrari folgten und ich kurz stehen blieb, hörte ich nur noch die Worte: „Sir, ten Rupees, please.“ Welcome to India.

 
Fazit: Die Massenbevölkerung und das daraus resultierende Überangebot auf dem indischen Arbeitsmarkt macht Arbeitskraft in vielen Branchen zu jeder Zeit austauschbar. Das führt nicht selten zu Dumpingloehnen, die in keinem Verhältnis zu dem hohen Aufwand stehen, den Inder an meist sechs Tagen pro Woche im Job leisten. 

Die chronische Schwäche der indischen Währung führt dazu, dass sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Reisen ins Ausland oder teurere Elektronikgeräte leisten kann. Auch Bildung, das ist das eigentliche Dilemma, ist in Indien eine Frage des Kapitals. Denn nur reiche Inder können die Gebühren der privaten Hochschulen stemmen, die bei Firmen aus dem In- und Ausland extrem gefragt sind. Das führt  dazu, dass wirkliche gesellschaftliche Aufstiegschancen im Land für den großen Teil der Bevölkerung kaum existent sind. 

Koenigliches Dinner in Pune fuer 220 Rupien: 3,20 Euro.

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