Montag, 4. Mai 2015

Ja, ich muss!

Gesellschaftlicher Druck: Viele Inder heiraten nur, weil die Familie sie massiv dazu drängt. Gerade arrangierte Ehen müssen von den Betroffenen oftmals künstlich am Leben gehalten. Denn Scheidungen sind in Indien verpönt.

Mysore. Mit 26 Jahren fing das Leben fuer Praveen an, richtig ungemütlich zu werden. Besonders an Hindu-Festtagen, wenn sich die ganze Familie zum Essen traf, fühlte sich der heute 30-Jaehrige zunehmend unwohl. Alle waren sie da, Tanten, Cousins und Schwager. Und alle redeten sie auf ihn ein. Praveen, der in der Pharma-Industrie arbeitet, erinnert sich: „Besonders meine Großmutter hat mir ueber Monate viel Druck gemacht, mir bei jedem Treffen ins Gewissen geredet. Sie sagte, ich müsse nun endlich ein Frau finden und heiraten.“

   Arrangierte Ehe: Shridevi (rechts, 24) und Praveen (30).
Als Praveen nach zwei Jahren noch immer keine Frau präsentieren konnte, machten seine Eltern die Brautsuche  offiziell zur Familienangelegenheit. Im Januar 2013 stellten die Eltern dem damals 28-Jaehrigen seine zukünftige Ehefrau das erste Mal vor. Vier Monate später, im Mai, folgte die Heirat. Basta-Familienpolitik auf Indisch. „Eine arrangierte Ehe“, stellt Praveen trocken fest. 

 „Glück? Darum geht es hier nicht“

Als Praveen mir die Geschichte seiner Ehe erzählt, sitzt er im Reisebus neben Shridevi (24): seiner arrangierten Ehefrau. Fuer eine Inderin ist sie außergewöhnlich groß, ihren Mann überragt sie um wenige Zentimeter. Ich habe einen kurzen Smalltalk mit ihr. Für mehr reichen ihr Englisch und mein Hindi leider nicht aus. Wir trinken gemeinsam Schaij und gucken immer wieder aufgeregt aus dem Fenster, wenn sich Tiere aus dem Dickicht des Naturschutzgebietes wagen.

Als wir ein paar wilde Affen erblicken, die auf dem Rasen rangeln, frage ich Praveen, ob er glücklich darüber ist, wie das mit seiner Ehe nun gelaufen ist. Er hält einen Moment inne. Dann sagt er: „Glück? Darum geht es hier nicht. Ab einem gewissen Alter wird von Dir in Indien einfach erwartet, dass Du heiratest.“

Viele junge Inder streben nach Selbstbestimmung

Heirat und Familiengruendung sind zwei absolute Schluesselnormen, die Indiens Gesellschaft seit Jahrzehnten prägen. Es sind Normen, die Erwartungen schüren und Druck auf viele junge Inder ausüben: „Es ist immer noch so, dass viele indische Eltern ihre Kinder unter Druck setzen. Sie erwarten, dass ihre Toechter mit 27 oder 28 und ihre Soehne mit spestestens 30, 32 Jahren heiraten. Aber das Ganze wandelt sich gerade“, sagt Sheetal (33), die ich in Bangalore kennenlerne. 

Sheetal (33): "Inderinnen wollen selbst festlegen, ob und wann sie heiraten."
Die Heirat sei fuer viele junge Inder schon lange nicht mehr das Wichtigste im Leben. Viele Frauen wuerden mehr Selbstbestimmung fordern und selbst arbeiten gehen wollen. „Viele wollen selbst festlegen, ob und wann sie heiraten. Es geht einfach darum, frei zu sein“, sagt die Produktdesignerin, die selbst seit fuenf Jahren verheiratet ist, ihren Mann wegen dem Arbeitsstress aber nur alle zwei Wochen sehe.

Trennung? Ein No-Go!
Irgendwann gegen Ende unserer Busfahrt moechte Praveen schließlich von mir wissen, wie das in Deutschland denn mit der Ehe ablaufe. Ich erklaere ihm, dass viele Deutsche spät heiraten und sich nicht selten nach einigen Jahren wieder trennen wuerden. „Eine Trennung?“, fragt Praveen etwas unglaeubig. „Das ist in Indien ein No-Go, das trauen sich nur ganz wenige.“ Shridevi und Praveen verabschieden sich von mir. In den traumhaften Bergen von Ooty wollen sie ein paar freie Tage verbringen. Und nebenbei am 2. Mai den zweiten Jahrestag ihrer Hochzeit feiern. 



  
Junge Inderinnen erholen sich im Botanischen Garten von Ooty. In Indien wird von Frauen in der Regel erwartet, bis zu einem Alter von 27 oder 28 Jahren geheiraten zu haben.

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