Gesellschaftlicher
Druck: Viele Inder heiraten nur, weil die Familie sie massiv dazu drängt. Gerade
arrangierte Ehen müssen von den Betroffenen oftmals künstlich am Leben
gehalten. Denn Scheidungen sind in Indien verpönt.
Mysore. Mit 26 Jahren fing das Leben fuer Praveen an,
richtig ungemütlich zu werden. Besonders an Hindu-Festtagen, wenn sich die
ganze Familie zum Essen traf, fühlte sich der heute 30-Jaehrige zunehmend
unwohl. Alle waren sie da, Tanten, Cousins und Schwager. Und alle redeten sie
auf ihn ein. Praveen, der in der Pharma-Industrie arbeitet, erinnert sich: „Besonders
meine Großmutter hat mir ueber Monate viel Druck gemacht, mir bei jedem Treffen
ins Gewissen geredet. Sie sagte, ich müsse nun endlich ein Frau finden und heiraten.“
Arrangierte Ehe: Shridevi (rechts, 24) und Praveen (30). |
Als Praveen nach zwei Jahren noch immer keine Frau präsentieren
konnte, machten seine Eltern die Brautsuche offiziell zur
Familienangelegenheit. Im Januar 2013 stellten die Eltern dem damals
28-Jaehrigen seine zukünftige Ehefrau das erste Mal vor. Vier Monate später, im
Mai, folgte die Heirat. Basta-Familienpolitik auf Indisch. „Eine arrangierte
Ehe“, stellt Praveen trocken fest.
„Glück? Darum geht es hier nicht“
Als Praveen mir die Geschichte seiner Ehe erzählt, sitzt
er im Reisebus neben Shridevi (24): seiner arrangierten Ehefrau. Fuer
eine Inderin ist sie außergewöhnlich groß, ihren Mann überragt sie um wenige
Zentimeter. Ich habe einen kurzen Smalltalk mit ihr. Für mehr reichen ihr Englisch
und mein Hindi leider nicht aus. Wir trinken gemeinsam Schaij und gucken immer
wieder aufgeregt aus dem Fenster, wenn sich Tiere aus dem Dickicht des
Naturschutzgebietes wagen.
Als wir ein paar wilde Affen erblicken, die auf dem
Rasen rangeln, frage ich Praveen, ob er glücklich darüber ist, wie das mit
seiner Ehe nun gelaufen ist. Er hält einen Moment inne. Dann sagt er: „Glück?
Darum geht es hier nicht. Ab einem gewissen Alter wird von Dir in Indien
einfach erwartet, dass Du heiratest.“
Viele
junge Inder streben nach Selbstbestimmung
Heirat und Familiengruendung sind zwei absolute
Schluesselnormen, die Indiens Gesellschaft seit Jahrzehnten prägen. Es sind
Normen, die Erwartungen schüren und Druck auf viele junge Inder ausüben: „Es
ist immer noch so, dass viele indische Eltern ihre Kinder unter Druck setzen.
Sie erwarten, dass ihre Toechter mit 27 oder 28 und ihre Soehne mit spestestens
30, 32 Jahren heiraten. Aber das Ganze wandelt sich gerade“, sagt Sheetal (33),
die ich in Bangalore kennenlerne.
Sheetal (33): "Inderinnen wollen selbst festlegen, ob und wann sie heiraten." |
Die Heirat sei fuer viele junge Inder schon lange
nicht mehr das Wichtigste im Leben. Viele Frauen wuerden mehr Selbstbestimmung
fordern und selbst arbeiten gehen wollen. „Viele wollen selbst festlegen, ob
und wann sie heiraten. Es geht einfach darum, frei zu sein“, sagt die
Produktdesignerin, die selbst seit fuenf Jahren verheiratet ist, ihren Mann
wegen dem Arbeitsstress aber nur alle zwei Wochen sehe.
Trennung?
Ein No-Go!
Irgendwann gegen Ende unserer Busfahrt moechte Praveen
schließlich von mir wissen, wie das in Deutschland denn mit der Ehe ablaufe. Ich
erklaere ihm, dass viele Deutsche spät heiraten und sich nicht selten nach
einigen Jahren wieder trennen wuerden. „Eine Trennung?“, fragt Praveen etwas
unglaeubig. „Das ist in Indien ein No-Go, das trauen sich nur ganz wenige.“ Shridevi
und Praveen verabschieden sich von mir. In den traumhaften Bergen von Ooty
wollen sie ein paar freie Tage verbringen. Und nebenbei am 2. Mai den zweiten
Jahrestag ihrer Hochzeit feiern.
Junge Inderinnen erholen sich im Botanischen Garten von Ooty. In Indien wird von Frauen in der Regel erwartet, bis zu einem Alter von 27 oder 28 Jahren geheiraten zu haben.
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