"Alles entscheidet sich im Kopf"
Marathon: Was es wirklich bedeutet, 42,195 Kilometer am Stück zu rennen.
Dennis Haas (DH): Die meisten von uns sind noch nie einen Marathon gelaufen. Wie bereitet man sich auf etwas so Großes eigentlich vor?
Ibrahim
Naber (IH): Ein Marathon bedeutet generell eine harte und gründliche Vorbereitung. Mindestens
10 Wochen sollten es sein, wenn man eine gute Grundfitness hat. Ansonsten muss man sich ein
halbes Jahr lang vorbereiten und das ist dann auch wirklich das Mindestmaß. Ein
Marathon ist selbst für erfahrene Sportler eine Extrembelastung und deswegen
ist die Art und Weise des Trainings extrem wichtig. Denn man kann natürlich
fünfmal die Woche trainieren, sehr viel Zeit investieren und trotzdem alles
falsch machen.
DH: Was ist
denn beim Training wichtig, auf was achtest Du besonders?
IH: Ich bin ein ambitionierter Läufer. Meinen
ersten Halbmarathon hatte ich mit 14. Ich hatte mich damals ohne das Wissen
meiner Eltern angemeldet und bin dann im Koma gelandet…
DH: Was ist
denn passiert?
IH: Ich war
nicht richtig vorbereitet, extrem übermotiviert und hatte mir das Ziel gesetzt
unter 1 Stunde 50 Minuten zu bleiben, was für den ersten Halbmarathon keine
Zielsetzung sein darf. Beim ersten Mal geht es einfach darum ins Ziel zu kommen.
Ich bin also, unter dem Vorwand meine Großeltern zu besuchen, nach Karlsruhe
gefahren und bin gelaufen. Ich habe früh gemerkt, dass es mit der Zielzeit eng wird. Ab Kilometer 14 hatte ich dann so einen seifigen Geschmack im
Mund, weil ich wie in einem Tunnel war und nichts mehr getrunken habe.
Ich habe
also jeden Anfängerfehler gemacht, den man machen kann: Nichts gegessen, nichts
getrunken, zu schnell losgelaufen und am Ende einfach nicht auf meinen Körper
gehört. Ungefähr 200 Meter vor der Zielgeraden ist mir dann schwarz vor Augen
geworden, ich bin von links nach rechts getaumelt und wurde dann von zwei
anderen Läufern über die Zielmatte geschleift. Es gibt Bilder davon. Irgendwann
später bin ich dann im Krankenhaus aufgewacht.
DH: Was ist
also wichtig beim Marathon, wie verhält man sich als Läufer am besten?
IH: Beim
Marathon ist es vor allem wichtig zu trinken. Im Gegensatz zum Halbmarathon ist
man darüber hinaus quasi verpflichtet, Essen zu sich zu nehmen. Denn ab dem 32.
Kilometer sind sogar bei Profis meist die Kohlenhydratspeicher komplett aufgebraucht
und bei Amateuren natürlich noch früher. Also, ab Kilometer 20 alle fünf
Kilometer ein Stück Banane oder einen Energieriegel zu sich nehmen und genug
trinken!
DH: Das
Essen während dem Marathon spielt also eine große Rolle, wie sieht es mit der
Ernährung im Trainingsalltag aus?
IH: Das
unterschätzen ganz viele. Es gibt zahlreiche Studien dazu und es ranken sich
viele Mythen darum, welche Ernährung für Ausdauersportler am besten ist.
Jahrelang hat man auf Kohlenhydrate gesetzt, davon ist man mittlerweile
weggekommen. Ein renommierter Ernährungswissenschaftler aus Tübingen, Dr.
Wolfgang Feil, sagt „weg von Kohlenhydraten hin zu Fetten und Eiweiß“. Man soll
also in den Wochen vor dem Marathon seine Kohlenhydratzufuhr drastisch
reduzieren und dafür auf Fett und Eiweiß setzten. Kurz vor dem Wettkampf lädt
man seine Speicher wieder voll auf, dieses Prinzip heißt „train low - compete
high“.
DH: Du hast
jetzt viel von Vorbereitung und Belastung gesprochen, was macht man eigentlich
nach dem Marathon?
IH: Die
erste Stunde nach dem Marathon war schrecklich bei mir. Es gibt Läufer bei
denen das anders abgelaufen ist, aber vielen ging es wie mir. Ich habe bei
Kilometer 30 schon gemerkt, dass mein Akku eigentlich im roten Bereich ist und
jeder Schritt meinen Gelenken und meinem Körper schadet. Aber was im Kopf beim
Marathon abgeht, ist wirklich unglaublich. Man hat die ganze Zeit Versagensängste,
Selbstzweifel und Angst, dass es dein Körper nicht packt. Du hast immer diese
Gedankenspiele: ‚Warum machst du das überhaupt, warum machst du den ganzen
Scheiß, warum quälst du dich durch diese Kilometer und zahlst auch noch dafür?‘
Der größte Kampf ist also nicht der mit deinem Körper, sondern der gegen deinen
Kopf. Man sagt nicht umsonst, dass ein Marathon erst ab Kilometer 30 anfängt, alles
ab diesem Kilometer entscheidet sich im Kopf. Wer schon einmal einen Marathon gelaufen
ist, weiß wie das ist.
Um aber auf
die Frage zurück zu kommen: ich hab mich kurz danach in die Ecke gelegt, hab
Bauchkrämpfe und Kopfschmerzen bekommen. Meine Beine und Knie haben richtig
krass geschmerzt, ich habe sämtliche Körperteile gespürt und mir war richtig
schlecht. Es war ein ziemlich desolater Gesamtzustand meines Körpers. (lacht)
DH: Hat es
sich dann nicht rentiert den Marathon zu laufen, oder was ist dein Fazit?
IH: Doch,
doch! Die Schmerzen, die Du im Marathon hast, sind die, die dich erst
Stolz machen. Wenn Du alle diese Schmerzen und Trainingsqualen überwunden hast,
wenn Du dich wochenlang vorbereitet hast, wenn Du dann nach 42 Kilometern im
Ziel bist; dann bist Du der glücklichste Mensch der Welt. Es ist ein sehr
befriedigendes Gefühl, es ist eine Selbstzufriedenheit, die man sonst so nicht
spürt.
DH: Das
sind doch schöne Abschlussworte, vielen Dank nochmal fürs Kommen und viel
Erfolg beim nächsten Wettkampf.